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Der Gasofen, vor dem ich kauere, heißt „Respekta". Er befindet sich in
einem winzigen Verschlag, der wiederum inmitten einer 1.000 qm großen
Halle steht. Der Ofen hat seinen Namen verdient, denn man sollte sich
wirklich vor ihm in Acht nehmen. Schon nach wenigen Minuten hat seine
Gluthitze meinen dicken Wintermantel angekokelt. Doch lieber hier verbrennen
als wieder nach draußen.
Dort, in dieser eiskalten Halle am Hildesheimer Kanalhafen, dreht der
Amundsen unter den deutschen Regisseuren, Wenzel Storch, seinen neuen
Film. Nach „Der Glanz dieser Tage" und „Sommer der Liebe" den dritten.
Und den – in diesem Fall muss man das Adjektiv steigern – irrsinnigsten.
Ein paar Jahre dreht Storch nun schon. Wer sich in der Halle umschaut,
weiß warum.
Etwa zwanzig Bauten stehen da, u.a. ein kompletter, rund sieben Meter
hoher eiförmiger Ballsaal, der Maschinenraum eines gigantischen Schiffes,
ein Bordkino mit echter Kinobestuhlung, riesige Höllenmaschinen, die bis
an die Decke der Halle reichen, und endlose Labyrinthe, deren Wände mit
türkisem Kunstsamt bespannt sind. Dazwischen sind unzählige Requisiten
abgestellt: goldgefärbte Barockstühle, aus deren Sitzflächen große goldene
Sprungfedern ragen, vergoldete, mit goldenen Schneebesen behängte Bäumchen
in goldenen Töpfen, die goldene Zitronenpressen zieren, ein mit blauem
Samt bezogener Zahnarztstuhl mit silbernen Flitterbordüren, ein überdimensionales
zusammengeschweißtes Schlagzeug, wie für einen Bären gemacht (und es ist
für einen Bären gemacht), große bemalte Bärengitarren aus Eisen, Draht
und Holz, die aussehen, als habe sie Pablo Picasso entworfen.
Und die meisten dieser prächtigen Dinge sind noch einmal mit kleinen Kunstperlen
besetzt, die wie Raureif blitzen. Oder ist das Raureif?
Gebaut wurden diese Kulissen nicht von professionellen Filmarchitekten
und Filmausstattern, sondern von „Laien", die bisher nicht viel mit Film
zu tun hatten. Das Rohmaterial wurde auf Flohmärkten zusammengesucht,
stammt aus Baumärkten, vom Schrottplatz oder aus auseinander montierten
landwirtschaftlichen Maschinen. Allein die Bauzeit des labyrinthischen
„Schiffskellers", für den alte Gussformen aus einer stillgelegten Gießerei
verwendet wurden, betrug ein halbes, vielleicht auch ein ganzes Jahr.
So genau weiß das Wenzel Storch selbst nicht mehr. Fest steht nur eins:
Solche Filmkulisssen hat es noch nie gegeben. Einen solchen Film auch
nicht. Mit den Filmbauten wuchs auch das Drehbuch wie ein Eiskristall.
Je mehr von dem möglich wurde, was zu Drehbeginn unmöglich schien, desto
mehr wurde ins Buch integriert.
In der Kurzfassung geht es darum, dass Kapitän Gustav, Herr über ein gigantisches
Weinbergschnecken-U-Boot, eine Insel entdeckt, auf der der brutale König
Knuffi herrscht. Gustav nimmt den Kampf auf. In der Langfassung spielen
eine Kaninchenzeitmaschine, perlenbesetzte Teppichklopfer, echte Bären,
Gottesanbeterinnen und Frösche tragende Rollen.
Gedreht wird ausschließlich mit Laien, Freunden, Bekannten.
Alle helfen mit, sogar Journalisten, die sich gerade auf dem Set befinden,
werden bei den Arbeiten eingespannt. Auch bei Minustemperaturen, dann
dreht Wenzel Storch am liebsten. Weshalb? „Vielleicht weil`s dann kälter
ist und alle so schön frieren", meint der Mann frostig. Das hatte ich
nicht eingeplant.
Herr Storch ruft, und ich muss den kleinen warmen Verschlag, der einmal
König Knuffis Schlossküche war und jetzt als Garderobe dient, verlassen.
Draußen in der Halle schlägt mir die Kälte entgegen. Was ich dann sehe,
lässt mich erst recht frösteln. Vor mir steht König Knuffi, mit goldener
Lockenperücke und von Pickelkratern übersätem nackten Oberkörper.
An beiden Armen trägt der grausame Monarch Hakenkreuzbinden. Dieses Symbol
gefällt dem Ekelpaket neuerdings deutlich besser als sein altes Wappen
mit den gekreuzten Teppichklopfern. Und jetzt, in dieser Szene, will Knuffi
fliehen. Mit der Zeitmaschine, dem riesigen weißen Kaninchen mit rot blinkenden
Augen aus Pergamentpapier und einem rotierenden Nasenpropeller. Wohin,
ist ziemlich klar.
Damit es beim Start der Zeitmaschine ordentlich blinkt und flackert, habe
ich mit einem Stück Pappe vor dem Scheinwerfer rumzufuchteln. Immerhin
herrscht in seiner Nähe eine einigermaßen erträgliche Temperatur. Doch
bevor die Szene abgedreht ist, fliegt die Sicherung raus. Das ist gut
für mich, denn ich kann wieder zurück in mein Kabuff. Mittlerweile ist
es nämlich schon zwei Uhr nachts, und ich bin nicht nur durchgefroren,
sondern auch sehr erschöpft.
Gut für den Film ist die Drehpause natürlich nicht, aber Polarfuchs Wenzel
Storch, der heute schon neun Stunden gedreht und sich in dieser Zeit kein
einziges Mal aufgewärmt hat, nimmt die Unterbrechung mit stoischer Gelassenheit.
Sicherungen brennen hier laufend durch.
Demnächst soll der Film wahrhaftig abgedreht sein und irgendwann im Herbst
in die Kinos kommen. Aber vielleicht doch besser erst im Winter.
Auch in dem 1.000-Quadratmeter-Kühlschrank am Hildesheimer Hafen ist für
heute Schluss. Es ist halb vier. Morgens, versteht sich. Am nächsten Wochenende
will Wenzel Storch und sein Expeditionsteam zum Drehen in den Harz. Man
hofft auf Kälte und einen Schneesturm.
aus: TAZ 18.3.2000
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